Juli Zeh: Über Menschen. Roman. Luchterhand, München 2021, 416 Seiten, 22 Euro.
Vielen Kritikern (siehe die Zitate beim Perlentaucher) gefiel das klischeehafte, “menschelnde” in dem Roman nicht, und ich kann dem in gewisser Weise folgen. Ist das wirklich eine Zeitdiagnose oder ein Märchen, habe ich mich beim Lesen öfters gefragt.
Noch weiter geht Julia Encke in ihrer Besprechung, wenn sie von der ”Verdorfung” der jüngsten deutschen Literatur spricht und am Beispiel von Juli Zeh kritisiert:
„Über Menschen“ ist voller eigentümlicher, für die neu Dazugezogene geradezu exotischer Menschen, die ihr Herz aber natürlich alle am rechten Fleck haben. Denn das gehört zur DNA der neuen deutschen Dorfliteratur: die Knorrigkeit der Dorfeinwohner, die gern beim Vornamen genannt und in ihrer Eigentümlichkeit detailliert beschrieben werden wie besonders interessante Zirkuspferde."Seltsamerweise (oder vielleicht doch eher “typisch”?) wird aber die von Juli Zeh thematisierte Überheblichkeit des städtischen Akademikerproletariats in der Berliner Kreuzberg- Idylle gegenüber dem Leben in der Provinz bei vielen Rezensenten stillschweigend übergangen. Im Roman erkennt die Stadtmenschin Dora, eine gut im Berliner Milieu vernetzte Werbetexterin (nicht “Senior Copywriter”, wie sie betont) in einer angesagten Berliner Agentur und verbandelt mit einem aktivistischen Zukunftspessimisten, der die Welt spätestens seit der Corona-Pandemie auf den Untergang zusteuern sieht, dass die Menschen auf dem Land nur anders gestört sind als die in der Stadt, und dass es Probleme auf dem Land gibt, die sich ein bornierter Hauptstädter nicht mal albträumend vorzustellen wagt:
Kaum zu glauben, dass sich ein stinkreiches Land Regionen leistet, in denen es nichts gibt. Keine Ärzte, keine Apotheken, keine Sportvereine, keine Busse, keine Kneipen, keine Kindergärten oder Schulen. Keinen Gemüseladen, keinen Bäcker, keinen Fleischer. Regionen, in denen Rentner nicht von der Rente leben können und junge Frauen Tag und Nacht arbeiten müssen, um ihre Kinder zu versorgen. In solchen Gegenden stellt man dann noch eine Menge Windräder ab, verbietet den Pendlern den Diesel, versteigert die Felder der Bauern meistbietend an Investoren, will Menschen, die sich kein Erdgas leisten können, die Holzöfen wegnehmen und denkt lautstark darüber nach, auch noch Grill und Lagerfeuer zu untersagen, an denen die letzten Reste von Freizeitgestaltung stattfinden. Ansonsten erwartet man, dass alle klaglos funktionieren. Wer aufbegehrt, wird verunglimpft, als dummer Bauer, als Irgendwas-Leugner oder gleich als Demokratiefeind.Sind da am Horizont schon amerikanische oder französische Verhältnisse zu erkennen? Eine gesellschaftliche und politische Spaltung wie in Frankreich zwischen Paris und der Provinz oder in den USA zwischen Ostküste und “Fly-over-Staaten”? Die Antwort bleibt (noch) offen.
Irgendwie, denkt Dora, hat Deutschland die AfD beim Universum bestellt und bekommen. (218)
Landleben ist schön, macht aber viel Arbeit, lautet auf jeden Fall die Erkenntnis für die Städterin und die Leser.
Der “Roman einer Konversion” ist gut erzählt, manchmal spannend, stellt einige Gewissheiten in Frage und auch deshalb lesenswert.
Der “Roman einer Konversion” ist gut erzählt, manchmal spannend, stellt einige Gewissheiten in Frage und auch deshalb lesenswert.
Spoiler:
Der Dorfnazi überlebt den Roman nicht. Das hat natürlich den Vorteil für die Autorin, dass sie nicht weiter ausführen muss, wie es denn mit Dora und ihm weitergegangen wäre. ;-)
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