Montag, 26. Juli 2021

Helga Schubert: Vom Aufstehen


Ein Buch vom Alter. Oder wie es Helga Schubert sagt: “Nicht alt werden, nicht alt geworden sein, sondern alt sein.” (165)

Und alt sein heißt: die Erinnerungen werden mächtiger. Zum Beispiel die Erinnerungen an 

Großmutter, Mutter und an Mutter und Tochter sein

“Meine Mutter wusste als Rotkreuzschwester, dass das Sterben bedeutete. Sie machte sich fertig für ihren Weg zu ihrer Arbeitsstelle und sagte: Wenn sie gestorben ist, rufst du mich bitte an.
   Im Hinausgehen.
   Es war der erste Ferientag.
   Und die Tochter meiner Mutter konnte darum auch den Vormittag bei der sterbenden Großmutter sein. Vom Telefonhäuschen wieder zurück zur Toten musste sie vom Fahrrad absteigen, so zitterte sie.” (146)

“Schweigend standen die beiden Frauen nebeneinander in der Küche beim Brotschneiden. Da sagte meine Mutter nach einem Vierteljahr zu ihrer Tochter, die noch stillte, ganz ruhig:
   Wenn du doch damals nach der Flucht gestorben wärst. 
   Das hatten beide bis zum Tod meiner Mutter nicht vergessen.
   Und die Tochter meiner Mutter vergisst es bis heute nicht.” (150)

Alt sein

“Ich komme beim Älterwerden auch langsam aus der Zukunft an, ich nehme Abschied von den Aussichtstürmen, die ich nie besteigen, den warmen Meeren, denen ich nie baden werde, den Opernhäusern, den Museen in fernen Hauptstädten, der Transsibirischen Eisenbahn, in der ich nicht schlafen werde.
  Denn ich habe mir in meinem langen Leben alles einverleibt, was ich wollte an Liebe, Wärme, Bildern, Erinnerungen, Fantasien, Sonaten. Es ist alles in diesem Moment in mir. Und wenn ich ganz alt bin, vielleicht gelähmt und vielleicht blind, und vielleicht sehr hilfsbedürftig, dann wird das alles auch noch immer in mir sein. Das ist nämlich mein Schatz.
  Mein unveräußerlicher.
  Ich habe wie jeder Mensch meinen Schatz in mir vergraben.” (170)

Wenn Sie diese Art der Erinnerungen mögen, kann ich ihnen dieses Buch unbedingt empfehlen. 

Den prämierten Text von Helga Schubert findet man hier als PDF: Klick

Katharina Borchardt im Gespräch mit der Autorin
Sendung vom Di., 23.3.2021 22:05 Uhr, SWR2 Lesenswert Gespräch, SWR2 (55 Min.)

Besprechung beim RBB Radio 1: Die Literaturagenten - Das Bücher-Magazin

Dienstag, 13. Juli 2021

Die Prognosefähigkeit der FAZ

lässt durchaus zu Wünschen übrig:

Samstag, 10. Juli 2921

Montag, 5. Juli 2021

Coronabericht Juni 2021: Ein Monat mit Überraschungen



Die Inzidenzen gehen im Juni nahezu kontinuierlich nach unten. Viele Ursachen gibt es: Warmes Wetter, steigende Impfzahlen, vorsichtige Abkehr vom Lockdown. Urlaub in Sicht?
Die Zahlen fallen, die Temperaturen steigen, die Jugend drängt ins Freie, vor allem, wenn es dunkel wird.
Aber leider, leider...


Seit Montag, 14. Juni, kann man den digitalen Impfpass auch in Apotheken bekommen.
Am folgenden Tag bin ich um 9 Uhr in der Apotheke meiner Wahl, zeige Impfpass und Personalausweis vor, die Angestellte gibt die Daten ein und meint: "Einen Moment noch, das System ist beschäftigt".
Nach einer gefühlten Ewigkeit von ca. 2 Minuten heißt es: "Alles klar, kommt sofort."
Die Angestellte verschwindet in einem Nebenraum und kommt kurz danach wieder zurück mit zwei Ausdrucken in der Hand. Für jede Impfung einen mit jeweils einem Barcode.
Ich scanne die beiden Codes mit der Corona-App. Fertig nach insgesamt 5 Minuten.

Am 1. Juli erhalte ich auch dann auch vom Robert-Koch-Institut meinen digitalen Impfpass: Natürlich per Briefpost. 

Was die Digitalisierung von öffentlichen Einrichtungen und Schulen angeht, sind wir in Deutschland sehr, sehr umsichtig, geradezu vorbildlich vorsichtig.
Dazu passt folgende Meldung:

Nein, die Meldung stammt nicht aus dem Jahr 2005 sondern ist vom  29. Juni 2021 und betrifft die Schulen in "Frankfurt – the financial centre, the European city, the traffic hub, the smallest metropolis in the world. ... A global city where international flair meets homey cosiness.”
https://frankfurt.de/english/discover-and-experience/about-frankfurt 

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Die Monate Juni und Juli 2021 stehen ganz im Zeichen der Fußball-Europameisterschaft, die ausgerechnet im Jahr der Pandemie tatsächlich in ganz Europa stattfindet:


Die Fans reisen natürlich mit:
SZ vom 2.7.2021


Man könnte das jetzt auch so sehen:



Auch außerhalb Europas gab es ein bedeutendes Ereignis. Zum hundertjährigen Geburtstag der Kommunistischen Partei Chinas wurde ein bedeutender Platz ausgezeichnet:


In diesem Sinne: Angenehmen Urlaub!
 

Xifan Yang: Als die Karpfen fliegen lernten

Frau Yangs Familiengeschichte über vier Generationen spiegelt bis in Details die Geschichte der VR China der letzten 75 Jahre wieder, die Autorin macht sie uns lebendig und verstehbar.

   Es ist die Geschichte vom Aufstieg ihrer chinesischen Familie aus Armut und Not der Nachkriegszeit, die Geschichte der Unterdrückung und der Leiden unter Mao, der vorübergehenden Befreiung durch die Reformpolitik Deng Xiaopings und der Möglichkeit ihrer Eltern zum wissenschaftlichen Arbeiten ins Ausland, nach Deutschland, gehen zu dürfen, weil sich Partei und Staat dadurch wirtschaftlichen Gewinn versprachen. Frau Yang berichtet von den Mühen und der Arbeit ihrer Eltern, sich in Deutschland zurechtzufinden und finanziell über die Runden zu kommen. Sie müssen ihr Baby bei den Verwandten in China zurücklassen, was das Kind ihnen entfremdet. 

   Erst als Vierjährige wird Xifan gegen ihren Widerstand nach Deutschland  geholt. Sie besucht Kindergarten und Schule, wird als Chinesin bestaunt  und  auch diskriminiert, identifiziert sich aber im Lauf der Jahre mit der neuen   Gesellschaft so sehr, dass sie als junges Mädchen am liebsten alles   Chinesische abstreifen möchte. 
 
   In der ökonomischen Erfolgsgeschichte von Familie und Staat seit dem Sturz Maos gibt es auch ‘Verlierer’ wie Onkel Xungui, der wie viele andere glaubte, am rasanten Aufschwung teilhaben zu können und nach vorübergehendem Erfolg, doch wieder da angelangt ist, von wo aus er einst hoffnungsvoll und unternehmungslustig gestartet war: Als Mittelschullehrer, jetzt aber desillusioniert und alten Träumen nachhängend und auf dem Dach der Schule Gemüse pflanzend, weil er den Lebensmittel aus dem Supermarkt misstraut (und, wie man nach den unzähligen Skandalen weiß, dafür allen Grund hat).

   Die Autorin erklärt uns manch irritierende Einstellung der heutigen Chinesen. So wenn der Großvater auf ihre Frage “Aber hat die Partei dir nicht unendlich viel Leid zugefügt?” antwortet: “Ja. Aber sie hat mir auch die letzten dreißig Jahre geschenkt. Und die letzten dreißig Jahre waren die besten meines Lebens.” (S.328) 

   Wie vielen Freunden der chinesischen Kultur, die im Zwiespalt leben zwischen dem beeindruckenden Reichtum dieser Kultur, dem bewundernswerten wirtschaftlichen Aufstieg einerseits und dem abstoßenden Protz der neureichen Klassen und der Allmacht der staatlichen Kontrolle in China andererseits, geht es auch Yang Xifan, die heute in Shanghai lebt und arbeitet: 
“Hinter der Glasfassade gibt es eine zweite, unsichtbare Ebene, auf der ein permanentes Gefühl von Unbehagen regiert, von Ohnmacht, Beklemmung, Furcht und Misstrauen. Auf dieser Ebene gibt es keine Sicherheit für niemanden. Nach außen hin mag das neue China glänzen, doch im Innern ist es verfault.” (S.329)
   In diesen Tagen feiert die Kommunistische Partei Chinas mit ihrem Vorsitzenden Xi Jinping ihren 100. Geburtstag und lässt sich für den märchenhaften Aufstieg des Landes feiern. Das ist die gleiche Partei, die unter der Herrschaft Maos Millionen Menschen, darunter ihre engsten Anhänger auf dem Gewissen hat und sich heute noch nicht voll dazu bekennt. Dass es zu diesem Wirtschaftswunder kam, ist jedoch nicht das Verdienst der Partei,sondern das Gegenteil ist der Fall: Erst als die Partei die ökonomischen Fesseln lockerte, konnte der Fleiß der Menschen ungehindert zu Tage treten und dem Land einen gigantischen Aufschwung bescheren. Nicht die Partei, es war das chinesische Volk, das diesen Aufschwung erzielt hat. Auch davon berichtet dieses Buch am Beispiel der Familie Peng.

Xifan Yang: Als die Karpfen fliegen lernten. China am Beispiel meiner Familie

Carl Hanser Verlag, Berlin 2015 ISBN 9783446246546. Gebunden, 336 Seiten, 19,90 EUR

Video
Rezensionsübersicht beim Perlentaucher:
https://www.perlentaucher.de/buch/xifan-yang/als-die-karpfen-fliegen-lernten.html

Nachtrag

Das Buch kostete ursprünglich 19,90 €. Im April 2020 habe ich es für 10,25 € incl. Porto bei Medimops gekauft. Jetzt wird es gebraucht angeboten für 50 € (Stand: 1.Juli 2021). Momox zahlt im Ankauf aber nur 0,15 € dafür, der Partner Medimops hat das Buch aber nicht mehr im Angebot.
Das ist die Art von Kapitalismus, die ich nie verstehen werde.