
“Ein Team um den Bremer Soziologen Olaf Groh-Samberg hat das für das Bundesarbeitsministerium getan. [...] Dabei haben sie mehrere Dimensionen des Wohlstands miteinander verrechnet, um ein komplexeres Bild von Arm und Reich in Deutschland zu zeigen: die Einkommen, die Vermögen, die Wohnsituation und wie gut die Mitglieder eines Haushaltes in den Arbeitsmarkt integriert sind. Die Grundidee: Nicht einer dieser Faktoren allein entscheidet über die soziale Position in einer Gesellschaft – sondern alle gemeinsam. [...] Die oberste Gruppe umfasst die Reichen in Deutschland, die Forschenden wählten jedoch ein Wort, das stärker auf die Privilegien abhebt. Wer einen sicheren Job, ein hohes Vermögen und viel Platz hat, ist demnach nicht nur reich. Er oder sie ist wohlhabend.
So weit, so gut. Es gibt aber Probleme mit dem Algorithmus:
Im Text der ZEIT heißt es: "Eine Frau, die 4.500 Euro netto verdient, zählt dann zu den obersten zehn Prozent – auch, wenn sie allein ein Kind erzieht, in einer kleinen Stadtwohnung lebt, einen befristeten Vertrag besitzt und keine nennenswerten Rücklagen hat."
Gibt man diese Daten ein, erhält man ein verblüffendes Ergebnis:
Ein weiteres Schmankerl:
Die ZEIT schreibt: "Mithilfe eines Algorithmus und einiger Annahmen haben die Wissenschaftler die Bevölkerung anschließend in sechs Gruppen unterteilt: Armut, Prekarität, untere Mitte, Mitte, Wohlstand und Wohlhabenheit. Die Forschungsgruppe nennt sie soziale Lagen, man könnte auch von gesellschaftlichen Klassen oder Schichten sprechen.”
Ein Satz, der mich still verzweifeln lässt, es sei denn, man nennt eine Kuh mal einen Ochsen oder ein andermal ein Kalb, ist eh alles wurscht für einen Journalisten. Soziologie ist aber eine Wissenschaft mit definierten Begriffen. Journalismus ist es nicht. Das sieht man.
Noch ein Zitat:
“Kaum jemand in der Lage der Armut besitzt Wohneigentum. [...] Wohlhabende sind besser gebildet, besitzen häufiger Wohneigentum und verdienen im Schnitt mehr als fünfmal so viel.”
Ich hoffe doch sehr, dass die Studie aussagekräftigere Ergebnisse erbracht hat.
Die Mitte schrumpft - aber warum?
Wenn man, wie im Artikel geschehen, die Gesellschaft in drei Kategorien einteilt, nämlich zwei Oberschichten (= "Oben"), drei Unterschichten, d.h. einschließlich der unteren Mitte (= "Unten" und eine "Mitte"(lschicht) ergibt sich ein verblüffendes Bild. Hier die (saldierten) Zahlen.
1984 Oben: 17,4%; Mitte: 48%, Unten: 34,6%
2018: Oben: 26,8%; Mitte: 39,9%; Unten: 33,3%
Kurz: Die Mitte ist schwächer geworden, weil sie mehr nach oben abgegeben hat, als von unten nachgerückt sind. Aber das untere Drittel hat ebenfalls anteilmäßig abgenommen. Es sind also insgesamt mehr aufgestiegen als abgestiegen. Ein Skandal ist das nicht gerade.
Quelle: Wie wohlhabend sind Sie?
Von Paul Blickle, Annick Ehmann, Philip Faigle, Julia Kopatzki, Christopher Möller, Julian Stahnke und Julius Tröger
ZEIT.de vom 15. Februar 2021, 11:34 Uhr Aktualisiert am 15. Februar 2021, 11:53 Uhr 1.657 Kommentare