Mittwoch, 19. August 2020

Die Gegenwart der Vergangenheit

 Waltershausen 4. - 6. August 2020

“In Lütten Klein gingen wir an Feier- und Sonntagen gern in die örtliche Restaurants. In der Gaststätte Riga (...) wurde Hausmannskost serviert. Der beliebte Dreiklang aus Fleisch, Kartoffeln und Mischgemüse kam ohne große Verfeinerung aus. Man trank vor allem Bier und Schnaps; Wein und Sekt waren besonderen Anlässen oder den Frauen vorbehalten.” (Steffen Mau, Lütten Klein,S.66)

Vom 4. bis 6. August 2020 war ich für drei Tage in Thüringen. In Erfurt-Schmira habe ich das Elternhaus meines Vaters besucht und in Waltershausen die ehemalige Gaststätte meiner Tante.

Schmira

Der kleine Reiner mit seiner Oma 1950.

In diesem Haus, bei meiner Oma Anna Wadel, habe ich weitgehend mein erstes Lebensjahr ohne meine Eltern verbracht; von Dezember 1949 bis Dezember 1950. Warum? Das verliert sich im Dunkel der Familiengeschichte. Vielleicht waren es die schlechten Lebensbedingungen in der französischen Zone (Baden-Baden), wo ich geboren wurde und meine Eltern wohnten und arbeiteten. Wer weiß?
Das Haus wurde von meiner Oma nach ihrer Verrentung vermietet und nach der Wende verkauft.



Der aktuelle Besitzer des Hauses hat an der ehemaligen Werkstatt das alte Schild meines Opas angebracht, was für mich sehr berührend war. Selbst sein Todestag ist dort vermerkt



1956 war ich noch einmal mit meinen Eltern in Schmira. Erinnerungen daran habe ich nur wenige. Aber nicht vergessen habe ich den Ausflug nach Erfurt, wo sie mir im HO-Kaufhaus ein Holzspielzeug kauften und ich zum allerersten Mal auf einer Rolltreppe gefahren bin. Ein unglaubliches Erlebnis für ein sechsjähriges Kind.

Waltershausen

Im nahegelegenen Waltershausen führte mich mein erster Gang zum Haus meiner entfernten Tante Traudl Staudinger, die mit ihrem Mann bis 1988 hier eine HO-Gaststätte führte, den Bayerischen Hof. Erst als der Mann starb, wurde die Gaststätte aufgegeben. Heute hat sich in dem Gebäude ein Sanitätshaus niedergelassen.

Ein Blick zurück: 1990

Die Tante war auch der Anlass für meinen ersten Besuch in Waltershausen, gleich nach der Wende im Februar 1990. Ich habe noch deutlich einige Bilder vor meinen Augen, die mich damals sprachlos machten und die mich heute noch erstaunen.
Meine Tante machte mit mir eine Stadtführung und führte mich an den Rand der Stadt zu dem damaligen "VEB Gummiwerk Werner Lamberz”, einem wichtigen Arbeitgeber neben der weltweit exportierenden Puppenfabrik. Man konnte von Außen durch zerbrochene Scheiben in das Innere einer Produktionshalle sehen, und es sah aus wie im finstersten Kapitalismus. Altes Gerümpel stand herum, es war schmutzig und roch stark nach altem und verbranntem Öl. Ein trauriges Bild für den Arbeiter- und Bauernstaat.

Zurück im Städtchen beobachteten wir einen kleinen Auflauf vor einem Schnapsladen. Frauen und Männer standen vor dem Laden und warteten, denn es hatte sich herumgesprochen, dass neue Ware eingetroffen war. Ein Schild am Eingang wies aber darauf hin: “Wegen Warenanlieferung vorübergehend geschlossen”, was mich doch sehr erstaunte. Noch erstaunlicher war für mich, dass die Wartenden alle Arbeitskleidung trugen. Meine Tante klärte mich auf: Es sei ganz normal den Arbeitsplatz zu verlassen, wenn es neue Waren gibt. Das machten alle so.

Aus dem Laden kam ein Mitarbeiter und meine Tante verwickelte ihn in ein Gespräch. Der Mann beklagte sich, er habe eine Rüge bekommen, weil er die bundesdeutsche Fahne an der Fassade des Ladens angebracht habe. Man solle ihm nur krumm kommen, dann würde er nach Dortmund “rüber machen”. Sein Bruder sei schon dort und würde ihn aufnehmen.
Im Stillen dachte ich mir, er wird sich auch in Dortmund wundern, wenn er eine Abmahnung bekommt wegen Aufhängens einer Fahne am Geschäftshaus. Aber so war die Stimmung: Nix wie weg.

Am ersten Abend besuchten wir eine Gaststätte am Rand der Stadt. Es muss ein Presseklub oder etwas ähnliches gewesen sein, keine normale Kneipe. Der Gastraum war völlig leer, dennoch sollten wir warten bis wir einen Platz zugewiesen bekommen, so die Anweisung einer jungen Kellnerin. Der gewünschte Platz am Fenster war noch nicht abgeräumt und wurde es auch nicht im Verlauf des Abends. Das Essen entsprach voll den Standards der DDR (siehe oben das Zitat von Steffen Mau) und war spottbillig, auch in DDR-Währung, die damals noch gültig war.

In der nahe gelegenen Buchhandlung wurden schon die ersten Bücher aussortiert und in den Container vor dem Haus geworfen. Viel Parteiliteratur, aber auch Bücher aus dem renommierten Aufbau-Verlag. Ich habe mich bedient und auch einige “Orden”, d.h. Auszeichnungen für vorbildliche Arbeit mitgenommen.

Allgemein herrschte eine Stimmung wie in einem konkursreifen Unternehmen: Die einen waren in Gedanken schon unterwegs, die anderen verunsichert, was da wohl noch komme. 
Ausverkauf und Geschäftsaufgabe eines Staates.
1990 war Waltershausen ein Städtchen im Dornröschenschlaf. Überall konnte man die alte Schönheit noch erahnen, aber der Zahn der Zeit nagte kräftig am Gesicht der Stadt. Der Lack war ab, die Kleidung verschlissen und verwies auf die jahrzehntelange Vernachlässigung. Zu groß war die öffentliche Armut für ein face-lifting
Fast alles hat sich danach zum Positiven verändert.

Viele meiner Erlebnisse decken sich mit dem Bericht von Martin Mau: Das letzte Jahr. Siehe meine Besprechung des Buches hier: Klick

Die Gegenwart

Waltershausen  (Wikipedia: Klick) ist mittlerweile ein nettes Städtchen, ich finde es im  Zentrum sogar attraktiver als die nahegelegenen Ausflugsziele Bad Tabarz und Friedrichroda. Waltershausen hat romantische Gassen, schöne Häuser im Stil des ausgehenden 19. Jahrhunderts und in der Villengegend am Burghang findet man so gut wie keine scheußlichen Schottergärten. Es scheint auch viele Arbeitsplätze zu geben, wie man auf der Zufahrtsstraße zur Autobahn A4 sehen kann. Vermutlich Zulieferer für das Opelwerk in Eisenach, aber auch viel Logistik.




(Die Stadt ist nicht immer so leer, wie auf den Fotos. Es war Mittagszeit bei 30° im Schatten!)

Was mich wirklich überrascht hat: Im Stadtzentrum von Waltershausen gibt es zwar kaum noch Bäcker und Lebensmittelläden, aber immer noch Metzger. Man isst halt gerne Fleisch in Thüringen. Und noch erstaunlicher: Es gibt einen sehr gut sortierten tegut-Laden und weitere Kettenläden nahe dem Zentrum und am Stadtrand.

Das kulinarische Angebot konnte mich (wie 1990) nicht überzeugen. Der Italiener im Stadtzentrum ist bemüht, mehr aber nicht. Es gibt einige Pizza-Angebote und täglich etwas Besonderes, zum Beispiel Fischfilet. Die Weinauswahl ist beschränkt, bei Weißwein kann man wählen zwischen trocken und nicht-trocken. Der "Chinese" am Ort war eine ziemliche Katastrophe (Tofu mit Gemüse, ertränkt in einer Sahnesauce) und das Café in der Hauptstraße hat einen Cappuccino angeboten, den man eigentlich nur ausspucken konnte. Meine Vermutung: die anspruchslose Nachfrage bestimmt das bescheidene Angebot. Ist das ein Gruß der alten DDR?.
Es soll aber noch ein gutes Restaurant im Ort geben, direkt unterhalb der Villa Burgberg. Als ich aber danach suchte und es fand, war es nicht geöffnet. Dann halt beim nächsten Mal.

Aufenthalt 

Waltershausen eignet sich sehr gut als Ausgangspunkt für Ausflüge nach Gotha (mit der Kleinbahn!), nach Erfurt oder Weimar und für Wanderungen auf dem Rennsteig. Man kann mit der Bahn auch hinauf nach Friedrichroda und Tabarz fahren.


Ich bin am Mittwoch von Waltershausen nach Tabarz gewandert und von dort habe ich "rüber gemacht" nach Friedrichroda und wieder runter nach Waltershausen. Sehr schöner Wald, sehr schöne Wege, aber miserabel ausgeschildert. Es werden nicht Ziele angezeigt, sondern die Namen der Wege, die sich aber ab und zu ändern.
Im Schwarzwald zu wandern, was Sabine und ich oft machen, ist das genaue Gegenteil: Dort findet man an jeder Ecke einen Schilderwald mit Hinweisen auf das nächste, das übernächste und das letzte Ziel auf der Strecke, was mich oft ziemlich nervt. Aber man wird verwöhnt dadurch. Hier jetzt das Gegenteil, aber die Wanderkarte hat geholfen und es hat sich gelohnt. Es war eine romantische Wanderung durch einen sommerlichen Märchenwald. Und ich war die meiste Zeit alleine auf den Wegen. 

In einem Café in Tabarz habe ich die Meckerei von vier Maulhelden meiner Altersgruppe mitbekommen. Jeder nach Umfang, Volumen und Masse gut das Doppelte von mir, die sich ganz sicher waren, dass wir alle von der Presse belogen werden, denn “in Berlin waren nicht 20 000 Querdenker auf der Straße, sondern mindestens 1,2 Millionen”.
Das war wohl die weniger angenehme Seite von Thüringen. Ach, egal.

Unterkunft

Gewohnt habe ich in der Pension “Villa Burgberg”. Eine hübsche Villa, am nördlichen Burghang von Schloss Tenneberg gelegen mit weitem Blick über das Städtchen bis nach Gotha. Die Einrichtung der Zimmer ist modern und ansprechend, die Gemeinschaftsräume und das Treppenhaus sind im Stil des Biedermeiers gehalten und stammen wohl auch aus dieser Zeit. Überzeugende Sauberkeit und freundliche Aufnahme. Keine Hektik, man kann sich richtig erholen. Sehr gut geeignet für einen Kurzurlaub.
Ich habe Müsli zum Frühstück vermisst, gebe aber zu, dass ich nicht danach gefragt habe. War wahrscheinlich mein Fehler.



Ich komme gerne wieder. Reiner Wadel, August 2020

Deutschland Perspektiven: Vier Bücher

Lesen heißt für mich fast immer, ein Schwerpunktthema zu wählen und dann voll einzusteigen. Welches Thema mich gerade interessiert ist oft dem Zufall geschuldet. Waren es in den vergangenen drei Jahren vor allem die Themen Frankreich, (Kollaboration, Gesellschaftskritik), und sozialer Aufstieg (Deutschland, Frankreich, USA), so war ich davor fest eingebunden in die Lektüre moderner amerikanischer Autoren, die aus dem Herzen Amerikas, das ist für mich der Mittlere Westen, berichteten. Autoren wie Denis Johnson, Tom Drury oder Donald Ray Pollock
Nun, seit einigen Monaten also, Deutschland, Deutschland, ... Eigentlich waren es fünf Bücher, die ich in den letzten Monaten zum Thema gelesen habe. Bereits (enthusiastisch) besprochen habe ich Katja Oskamp: Marzahn, mon amour: Geschichten einer Fußpflegerin. Hier nun die neuen Titel.


Das ist quasi die Vorgeschichte zu seinem Erfolgsroman “In Zeiten des abnehmenden Lichts”. Hier beschreibt er jetzt die Geschichte seiner Großmutter, die 1936 als junge Kommunistin im Büro der Kommunistischen Internationale in Moskau angestellt war und nach Kriegsbeginn unter die stalinistischen Räder geriet. Sehr eindrucksvoll wird der Alltag und die Stimmung unter den Emigranten in Moskau dargestellt. Emigranten, auf der verzweifelte Suche einen Sinn in den Verdächtigungen und Verfolgungen durch den sowjetischen Geheimdienst suchen. Grundlage des und Anlass für den Roman waren Dokumente seiner Großmutter, unter anderem Selbstbezichtigungsschreiben, die er in Moskau einsehen konnte und die er mit fiktiven Monologen und Dialogen zu einem Roman verarbeitete.
Wer in seiner Jugend -  zeittypisch -  kommunistischen und sozialistischen Ideen anhing, kannte dennoch auch Bücher wie "Sonnenfinsternis" von Arthur Koestler oder Wolfgang Leonhards “Die Revolution entlässt ihre Kinder”. Metropol steht in dieser Tradition.
Eugen Ruge: Metropol. Hamburg: Rowohlt 2019, 432 Seiten.

Nachsatz:
Dazu passte auch das Video/der Film “Und der Zukunft zugewandt”
Das Schicksal dreier deutscher Kommunistinnen, die in Workuta im Straflager gefangen gehalten wurden und nach der Gründung der DDR frei kamen, aber nichts über ihre Vergangenheit berichten durften. Kann man bei mir ausleihen! 


Diesen Roman von Lutz Seiler habe ich zufällig gefunden, als “Findelkind” im Bessunger Bücherschrank.
Er handelt vom freien und ungebundenen Leben im letzten Sommer vor der Wende auf Hiddensee, wo sich in den letzten Jahren der DDR  immer mehr Aussteiger und  potentielle Flüchtlinge unter den Augen der Staatsmacht konspirativ trafen und feierten. Auch sprachlich ein beeindruckender Roman.

Dennoch habe ich hier und da den Eindruck, dass Lutz Seiler das Leben der Individualisten auf Hiddensee in ein romantisches Licht getaucht hat, das mich stutzen lässt. Eine Insel voller Aussteiger und potentieller Republikflüchtlinge und kaum Probleme mit der Staatsmacht? Vielleicht zu schön um wahr zu sein.
Es gibt eine Art Fortsetzung: Lutz Seiler, Stern 111. (Spoiler: Auch dort spielt ein Tier eine Nebenrolle, diesmal aber kein toter Fuchs!)
Lutz Seiler: Kruso. Roman. Berlin: Suhrkamp Verlag, 2014, 480 Seiten.


Zufällig wurde ich durch die Süddeutsche Zeitung auf einen Roman aufmerksam, der unverdienterweise und unerklärlicherweise völlig in der Versenkung verschwunden ist (wie auch der Autor). Martin Gross: Das letzte Jahr. Damit ist das Jahr 1990 gemeint, in dem der Autor zuerst als westdeutscher Schriftsteller und “Korrespondent”, dann als Mitarbeiter einer Zeitung aus Dresden berichtet, wie ein Land zusammenbricht und ein neues Land noch lange nicht entsteht. Vieles hat mich an die eigenen Erlebnissen in der Nach-Wende-DDR erinnert, bei meinen ersten Besuchen in Erfurt, Apolda und Waltershausen, gleich nach der Öffnung der Mauer im Winter und Frühjahr 1990, als das Land und seine Menschen zwischen Neuanfang und “nix wie weg” schwankte. 
Martin Gross hat einen nüchternen Blick auf die Wende und die Konflikte, die sich einstellen. Hier zwei Beispiele:
Montagsdemonstration in Dresden: Neben mir ein paar Jugendliche. Auch sie halten die Fahne in der Höher (trotz der Kälte) und wiegen ihr enttäuschtes Gesicht hin und her. Alles in diesem Land halten sie für gescheitert. Und Deutschland? Ja, das bedeutet, dass es besser wird, weil die D-Mark kommt und zwar schnell, das ist die Hauptsache, sonst ist bald niemand mehr hier, und die Städte sind leer, weil alles in den Westen gegangen ist. So stehen sie herum und wissen mit ihrer ganzen Revolution nichts anzufangen, als mit der Ausreise zu drohen.” (22. Januar / S.25)
"Es ist wirklich nicht schwer in Wut zu geraten! Wenn du dir ansiehst, was mit diesem Land geschieht, dann begreifst du die Lage in der Dritten Welt. Es geht in beiden Fällen um die Verteilung der Beute, um nichts anderes. Und die ganze Aufbauhilfe ist ein schönes staatliches Rahmenprogramm; die Werbekosten für diese gigantische Räuberei trägt nämlich der Staat.” (13. Oktober / S.223f)
Ich wünsche dem Buch viele neue Leser. Leider ist es nur noch im Antiquariat (ZVAB.de, booklooker.de) erhältlich. Vielleicht erwärmt sich die Bundeszentrale für politische Bildung für eine Lizenzauflage “30 Jahre danach”. 
Martin Gross: Das letzte Jahr. Berlin: BasisDruck 1992, 312 Seiten.

Der Bericht in der SZ vom 22. Juni 2020:
Gesucht: Ein Autor. Wer und wo ist Martin Gross? 
Ein Rätsel, das viele Leser von "Das Jahr 1990 freilegen" lange umtrieb, ist endlich gelöst, der Verfasser des 1992 erschienenen Buches "Das letzte Jahr" gefunden. Von Tobias Lehmkuhl




Steffen Mau liefert eine  soziologische Analyse der DDR-Gesellschaft und einen Vergleich zwischen Deutschland-Ost vor und nach der Wende, sehr schön verknüpft mit autobiographischen Bezügen, da der Autor selbst ein Kind aus “Lütten Klein”, einem Neubauviertel in Rostock ist, und damit auch als Zeitzeuge berichten kann.
Neben eigenen Beobachtungen hat der Autor aktuelle und ehemalige Bewohner befragt und seine Ergebnisse mit den Erkenntnissen soziologischer Studien angereichert. 

Im Teil 1 der Studie ist er zu dem Ergebnis gekommen, dass trotz vielfältiger Aufstiegsmöglichkeiten in der Frühzeit der DDR im weiteren Verlauf sich diese Wege "verstopften" und die DDR sich zu einer Gesellschaft entwickelte, die 
“durch eine nach unten zusammengedrückte Sozialstruktur und eine arbeiterliche Kultur geprägt war, was auch auf das Dienstleistungsproletariat und die Transferklassen von heute ausstrahlt - es dominiert eine Mentalität der einfachen Leute.” (S.14f)
Im Teil 2 des Buches untersucht Steffen Mau den Transformationsprozess nach 1989. Er arbeitet heraus, wie es nach der Wende zu einem Elitentransfer von West nach Ost kam , der einerseits zum kollektiven sozialen Abstieg der alten DDR-Eliten führte (“Unterschichtung” vom Autor genannt) und zu einer Überschichtung durch die neuen Eliten aus dem Westen. Die schon in der DDR der späten Jahre angelegten Mobilitätsblockaden einer sozial gedeckelten Gesellschaft (siehe Teil 1) wurden nicht aufgelöst, sondern sogar noch verstärkt. Im Ergebnis haben wir heute eine frakturierte Gesellschaft,
"in der Vorbehalte, Systemskepsis und populistische Mobilisierung hervortreten, während die Selbstbindung an eine liberale Ordnung und ein tolerantes soziales und politisches Klima einen schweren Stand haben". (S.15)
Ich finde, das ist ein wichtiges, weil informatives, locker geschriebenes und zum Nachdenken anregendes Buch über die Unterschiede zwischen den Gesellschaften Ost und West und zu den Ursachen dafür. Oder hätten sie zum Beispiel gewusst, dass 2012 in Ostdeutschland “bei den Zwanzigjährigen auf 100 potentiell partnerlose Frauen ohne Abitur sage und schreibe 300 ungebundene Männer ohne Abitur” (S.197) kamen? Man sieht diese jungen Männer buchstäblich, kurzrasiert mit einem Baseballschläger, auf der Straße stehen. Mau spricht hier von der beunruhigenden demografischen Maskulinisierung der neuen Bundesländer und ist sicher nicht allein, wenn er darin ein Problem sieht.)
Steffen Mau: Lütten Klein. Leben in der ostdeutschen Transformationsgesellschaft. Berlin: Suhrkamp 2019. ISBN 978-3-518-42894-8.

Sammelrezension beim Perlentaucher:
https://www.perlentaucher.de/buch/steffen-mau/luetten-klein.html

Wikipedia:  Lütten Klein  Steffen Mau



Freitag, 14. August 2020

Was ich so lese

August 2020 gekauft

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Juli 2020 gekauft

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  • Leon Werth: 33 Tage. Ein Bericht
  • Martin Gross: Das letzte Jahr
  • Raymond Queneau: Zazie in der Metro
  • Janet Flanner: Paris, Germany

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  • Bernd Cailloux: Gutgeschriebene Verluste
  • Juli Zeh: Corpus Delicti. Ein Prozess
  • Fang Fang: Wuhan Diary
  • Peter Bialobrzeski: Wuhan Diary (Fotographs)
  • Ernst Horst: Nur keine Sentimentalitäten!: Wie Dr. Erika Fuchs Entenhausen nach Deutschland verlegte
  • Bernd Cailloux: Gutgeschriebene Verluste
  • Juli Zeh: Corpus Delicti. Ein Prozess
  • Fang Fang: Wuhan Diary
  • Peter Bialobrzeski: Wuhan Diary (Fotographs)

Mai 2020 gekauft

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April 2020 gekauft

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  • Christine Cazon: Vollmond über der Cote D’Azur
  • Jackie Thomae: Brüder

März 2020 gekauft

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  • Katja Oskamp: Marzahn, mon amour: Geschichten einer Fußpflegerin
  • Djuna Barnes: Paris, Joyce, Paris
  • George Saunders: Fuchs 8
  • Jeremias Thiel: Kein Pausenbrot, Keine Kindheit, Keine Chance.
  • Eugen Ruge: Metropol
  • Bov Bjerg: Serpentinen

Februar 2020 gekauft

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  • Harald Jäner: Wolfszeit
  • Steffen Mau: Lütten Klein
  • Christian Baron: Ein Mann seiner Klasse
  • Eva Kurowski: Gott schmiert keine Stullen

Januar 2020 gekauft

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  • Stewart O’Nan: Henry persönlich
  • Emmanuel Carrère: Brief an eine Zoowärterin aus Calais
  • Gary Shteyngart: Willkommen in Lake Success
  • George Saunders: Fuchs 8
  • Jonathan Raban: Bad Land
  • Joan Didion: Woher ich kam
  • Emmanuel Carrère: Brief an eine Zoowärterin aus Calais
  • Joan Didion: Im Land Gottes

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