Wer war Bruno Lilienfeld? Eine Recherche in Archiven

Die Recherche nach Bruno Lilienfeld beginnt auf der Website Familie Lilienfeld Wohnort: Rees, Fallstraße 31. Dort  heißt es zu Bruno Lilienfeld:



Motivation für die Recherche war ein "Bruno Lilienfeld", der in Darmstadt beim Modehaus "Gebr. Rothschild" als Geschäftsführer gearbeitet haben soll.

Ich mache mich auf die Suche in den Archiven. Ein Hinweis auf einen Bruno Lilienfeld findet sich nicht in den Adressbüchern von Frankfurt a.M., sondern im Einwohnerbuch Mannheim von 1927, das ich mir per Fernleihe auslieh.


1927: Adressbuch Mannheim, K1.12 (Wohnung mit eigenem Telefonanschluss!)



Die Adressbücher der Stadt Darmstadt sind alle online einsehbar. Hier noch einmal der Eintrag, der Anlass für diese Recherche war:


1930: Adressbuch Darmstadt

Adressbuch Darmstadt 1930 (0286_0222)


29.2.1928:  Erste Heirat

Im Buch von Carla und Hans-Rolf Ropertz :Der Weg vom Kopf bis zum Arm ist lang, ein Privatdruck aus dem Jahr 2012, finde ich den Hinweis, dass Bruno Lilienfeld 1928 eine Tochter seines Darmstädter Arbeitgebers, Sigmund Rothschild, heiratete. Diese Information findet sich auch in der "Hessischen Biografie", wenn man den Namen Lilienfeld eingibt. Bei der Suche über das Hessische Geburten-, Ehe-, Sterberegister  habe ich Glück. Es gibt zwar keine Jahresübersicht über die Einträge, aber Bruno Lilienfelds Heirat war am Anfang des Jahres und daher schnell zu finden.

Heiratsnebenregister Darmstadt: Bruno Lilienfeld / Lotte Rothschild

Kaufmann Bruno Lilienfeld; geb. am 14.9.1901 in Rees am Rhein (Geburtsregister 116); zuletzt wohnhaft in Mannheim K 1/12 ; heiratet Liselotte Rothschild, ohne Beruf, geb. am 30. Dezember 1905 zu Darmstadt, Geburtsregister 1675, wohnhaft Marktplatz 2 [...]

Darmstadt, 29.Februar 1928. 


Heiratsnebenregister Darmstadt 1928:S.151


Und noch ein zufälliger Treffer. Auch die Scheidung der Ehe ist dort vermerkt:

Handschriftliche Randnotiz linkes Dokument (u.a.):

Ehe durch Urteil vom 4. April 1933 geschieden worden.



Sehr viel später finde ich auch die folgende Information in einer Quelle, die ich noch ausführlicher zitieren werde.


27.1.1929: Geburt des ersten Kindes: Kurt Samuel


Die Suche nach Bruno Lilienfeld im Internet führte mich schon früh auf die Seite einer Groß-Gerauer Initiative, die sich um die Geschichte der Groß-Gerauer Juden verdient gemacht hat: Juden in Groß-Gerau. Dort findet sich ein überraschender Eintrag: Bruno Lilienfeld hat wieder geheiratet!


6.2.1934: Zweite Heirat in Groß-Gerau

Bei der Suche nach dem Namen Gertrude Marxsohn über das Archivinformationssystem Hessen ARCINSYS , findet sich auch der Beleg für die Heirat von Bruno Lilienfeld mit Gertrude "Trude" Brünette Marxsohn aus Groß-Gerau.


HStDA615Groß-GerauQ585 


Die Durchsicht der Darmstädter Adressbücher bringt eine weitere Information.


1933: Ein eigenes Haus in Darmstadt


Adressbuch der Stadt Darmstadt 1934

(Die gesperrte Schrift beim Namen zeigt an, dass der Bewohner auch Eigentümer des Hauses ist; siehe Anmerkung im Adressbuch S.201.)



Das hessische Archivinformationssystem ARCINSYS lieferte mir auch eine Akte über Bruno Lilienfeld aus der Nachkriegszeit, die ich im Staatsarchiv in Wiesbaden einsehen kann.

Die Reise nach Wiesbaden hat sich dann mehr als gelohnt, denn diese "Wiedergutmachungsakte" enthält weitere interessante Details aus dem Leben von Bruno Lilienfeld. Alle folgenden Dokumente stammen aus dieser Akte mit der Signatur HHStAW, 518, 45832.


 1928 - 1934: Wohlstand als Geschäftsführer

 


Der zunehmende Druck auf jüdische Geschäftsleute veranlasste Bruno Lilienfeld, wie viele andere Bürger jüdischen Glaubens oder jüdischer Herkunft, Deutschland zu verlassen. Dies ging nicht ohne erhebliche Vermögensverluste und hohe Auswanderungskosten. 1937 war dies noch möglich, später nicht mehr.


1937 Flucht in die USA

Die Auswanderung muss eine größere Angelegenheit gewesen sein. Nicht nur ein zweiter Sohn steht auf der Liste, sondern auch die Haushälterin der Familie.







Wohnorte in den U.S.A.

Zuerst wohnte die Familie in einer heute weniger angesagten Gegend von New York, später erfolgte der Umzug ins beschaulichere Viertel Forest Hills.



Als der Krieg endlich vorbei war und die Bundesrepublik sich zu ihrer Verantwortung gegenüber den Verfolgten des Naziregimes bekannte, meldete auch Bruno Lilienfeld seine Ansprüche an:

Antrag auf Wiedergutmachung: 7.3.1951



HStAW, 518, 45832


Im Rahmen des Verfahrens wird von Bruno Lilienfeld ein bemerkenswertes Dokument eingereicht:


HStAW, 518, 45832

Wie heißt es auf der anfangs zitierten Website zum Stolperstein: "... Eltern Johanna (geb. Spier) und Samuel Lilienfeld..."



Tod

http://www.erinnerung.org/gg/haeuser/ff19.html


Finale

Um ganz sicher zu gehen, habe ich die veröffentlichten Transportlisten der deportierten Juden aus dem Deutschen Reich ab 1941 nach dem Namen Lilienfeld durchsucht. Weder hier noch dort findet sich ein Bruno Lilienfeld, nur sein Bruder Joseph Lilienfeld und seine Schwester Ruth Goldmann-Lilienfeld.


Fazit

Bruno Lilienfeld, geboren 14.09.1901, in Rees am Rhein als Sohn von Johanna (geb. Spier) und Samuel Lilienfeld, wurde nicht 1941 deportiert und in Minsk ermordet, sondern lebte zeitweilig in Mannheim, war Geschäftsführer in Darmstadt und floh 1937 mit seiner zweiten Familie (und einer Haushälterin) aus Darmstadt in die USA, wo er im Oktober 1977 in New York starb.

Der Stolperstein in Rees ist irrtümlich verlegt worden. 


Und doch ... Ich habe hier dargestellt, was ich in den Archiven über das Schicksal von Bruno Lilienfeld aus Rees am Rhein finden konnte, und ich habe Einzelheiten aus seinem Leben rekonstruieren können. Das war nicht wenig, und doch sagt es wenig darüber aus, wer Bruno Lilienfeld war. Die Archive berichten nichts von den Problemen, die Bruno Lilienthal zu seiner Entscheidung zur Auswanderung bewogen, nichts von der denkbaren Erleichterung, die Bruno Lilienfeld empfunden haben muss, die richtige Entscheidung zur Emigration getroffen zu haben, als nach 1938 die Hetzjagd auf jüdische Bürger in Deutschland eskalierte und schließlich in den Gaskammern der Konzentrationslager endete. Wir wissen nichts über die Genugtuung, die er empfunden haben mag, als dieses mörderische System im Bombenhagel der Alliierten und unter dem Ansturm der Roten Armee zusammenbrach. Und wir wissen nichts über die Erinnerungen, die in ihm aufstiegen, als er nach dem Krieg das Entschädigungsverfahren einleitete. All dies muss offen bleiben. Mit Informationen überhäuft, bleibt ein Unbehagen in mir zurück. Wer war Bruno Lilienfeld?

 Tabell. Lebenslauf von Bruno Lilienfeld (CV) : Klick