Es war Anfang der siebziger Jahre. Christel, meine damalige Freundin und spätere Frau, und ich fuhren mit Gauf-Reisen von Frankfurt a.M. nach Paris. Die Firma Gauf in der Münchener Straße war bekannt für ihre preiswerten Paris-Reisen: Zwei-, Drei-, Vier- und Mehrtagestouren, die auch für junge Leute bezahlbar waren.
Die Busfahrt beginnt am späten Freitagabend am Darmstädter Hauptbahnhof und soll uns am Dienstagnachmittag wieder zurückbringen. Morgens um 5 Uhr gibt es eine Pause im Bahnhofscafé von Châlons-sur-Marne (seit 1997 heißt der Ort Châlons-en-Champagne!), der erste Café au Lait ist fällig und natürlich die wunderbaren Croissants. Ein Geschmack, den ich noch heute, 50 Jahre später, immer wieder genieße.
In Paris wollen wir unter anderem ein altes Restaurant besuchen, “Chez Julien”, von dem ich in einer Reportage gehört habe. (War es bei Georg Stefan Troller im “Pariser Journal”? Egal).
Das Restaurant liegt gleich um die Ecke von unserem Hotel im Faubourg St. Denis. Ehrfürchtig blicken wir durch die verzierten Fenster ins Innere und bewundern die Schönheit des Belle-Epoque-Ensembles. Wir treten ein, genießen ein einfaches, preiswertes Essen und fühlen uns in das vergangene Jahrhundert zurückversetzt. Uns war klar: Ja, das ist das echte Frankreich.
Ein, zwei Jahre später stehen wir wieder vor dem Lokal. Aber als Gäste sieht man uns nicht mehr. Es hat sich in einen teuren Gourmettempel verwandelt, die Preise sind für uns junge Deutsche unbezahlbar. Schade, aber es gibt noch andere Lokale, zum Beispiel das Chartier, nicht weit entfernt und mit ähnlichem Flair.
Fast fünfzig Jahre sind vergangen. Ich sehe ein Foto in der ZEIT und es trifft mich wie ein Blitz: Ist das nicht das einst geliebte “Julien”? In der Tat. Das Foto dient als Aufmacher für einen Artikel von Ijoma Mangold über einen neuen Trend in der Pariser Gastronomie: Essen wie die einfachen Leute. Man geht nicht mehr ins Restaurant, man geht ins "Bouillon", d.h. in die Suppenküche zum Essen, wie einst im 19. Jahrhundert. Nur die Preise sind noch so hoch wie in den Jahren zuvor. Also wird es wieder nichts mit einem Besuch.
https://www.zeit.de/2023/43/gastronomie-paris-bouillon-julien-restaurants-frankreich