Donnerstag, 21. Juli 2022

Zwei Südfrankreich-Krimis

 

Pierre Martin: Madame le Commissaire und der tote Liebhaber. Ein Provence-Krimi. Knaur Verlag, München 2019.
Christine Cazon: Verhängnisvolle Lügen an der Côte d’Azur. Der neunte Fall für Kommissar Duval. Verlag Kiepenheuer  Witsch, Köln 2022

Krimis sind eigentlich nicht mein Ding, schon gar keine Whodunits Whodunits wie die von Pierre Martin (Pseudonym). Trotzdem habe ich beide gelesen, weil: Sie spielen in Südfrankreich, an der Côte d’Azur. 

Die Krimis von Christine Cazon lese ich seit kurzem, weil sie keine Whodunits sind, und den Krimi von Pierre Martin habe ich gelesen, weil er unter anderem in Sanary-sur Mer spielt, einem Ort, der mich in den letzten Wochen so beschäftigt hat, dass ich ihn unbedingt noch in diesem Leben besuchen möchte. Dazu später mehr.

Zu Pierre Martin

Als ich die Rückseite des Buches und die Werbung für die bisher erschienen Titel von Pierre Martin las, wollte ich das Buch schon wieder weglegen: Die Zikaden zirpen, und der Duft von Lavendel... heißt es, und auf der Innenseite werden andere Titel mit Der Duft von Lavendel...und der würzige Duft von Lavendel beworben. Für meinen Geschmack zu viel Aroma. 

Aber weglegen wäre ein Fehler gewesen, denn die Story, ein klassischer whodunit, handelt von einem Mord in Sanary und knüpft an die Geschichte Sanarys ín den 30er Jahren an. Damals nannte man an der Cote d’Azur Sanary auch Sanary-les-boches wegen der vielen Exilanten aus dem Kulturleben Deutschlands, die 1933 und später dorthin geflohen waren -  und deren Geschichte hat mich in den letzten Wochen sehr beschäftigt. (siehe meine Leseliste). Für den Fall des ermordeten Bürgermeisters aus dem Nachbarort und dessen Aufklärung spielt die Geschichte von Sanary allerdings nur eine untergeordnete Rolle.

Es gibt viele Verwicklungen im Roman, viel Lokalkolorit, eine toughe Madame le Commissaire der Police Nationale, die sich in ihren Heimatort hat versetzen lassen, die Geschichte ist spannend erzählt, wenn auch die Marotte, jede französische Redewendung sofort ins Deutsche zu übersetzen, mitunter nervt.  Aber wie gesagt, spannend, unterhaltsam und vor allem: es gibt ein überraschendes Ende. (Kein Spoiler!)
Gerne wieder!
p.s.: Im Roman ist übrigens, auch im Gegensatz zum Cover, an keiner Stelle von Lavendel die Rede! Gott sei dank.

Zum neuesten Werk von Christine Cazon

Ich kenne bisher nur zwei Krimis von Christine Cazon und beide sind keine klassischen Whodunits wie die von Pierre Martin oder von anderen Autoren (Autorinnen immer eingeschlossen). Ansonsten ist mir Frau Cazon durch ihren Blog Au fil des mots bekannt und durch ihre Autobiographie Von hier bis ans Meer.

Der erste Krimi, den ich von ihr las, war Lange Schatten über der Côte d’Azur, in dem es um einen Mord auf einem Friedhof in Cannes ging. Was mir damals sehr gut gefiel (und andere LeserInnen wohl eher abschreckte), war, dass der eigentliche “Fall” nicht in der Gegenwart, sondern in der Vergangenheit angesiedelt war, in einem für viele Franzosen sehr peinlichen Abschnitt der Geschichte, als sich die Vichy-Regierung der deutschen Judenverfolgungspolitik anschloss und aus eigenem Entschluss den Holocaust mehr oder weniger direkt unterstützte. Auch heute noch ist dies in Frankreich ein heikles Thema. 
Nicht die Suche nach dem Mörder steht im Mittelpunkt, sondern die Frage nach den Motiven, nach der Geschichte und den Geschichten, die sich hinter der Tat verbergen. Wenn man so will, ist dieser Krimi eine Camouflage.

Auch der zuletzt erschienene “Krimi” um Commissair Duval ist eine Camouflage. Duval wird peu a peu klar, dass der Mord an Richter Dussolier eine Vorgeschichte hat und “dass der Schlüssel zu diesem Verbrechen in der Vergangenheit liegen muss, in der Staudammkatastrophe von Malpasset, bei der im Jahre 1959 über vierhundert Menschen ihre Leben verloren”, wie es auf dem Waschzettel heißt.
Ich erinnere mich noch gut an dieses Unglück, das in Deutschland als “Dammbruch von Fréjus” bekannt wurde uns Kinder durch die Wochenschau im Kino in Angst und Schrecken versetzte. Auch die Zeitungen berichteten ausführlich. Wie ich feststellen konnte, gab es 1983 sogar eine TV-Doku im ZDF zu dem Unglück.

Kommissar Duval untersucht daher neben dem Mord an dem Richter auch die Frage, ob der Dammbruch das tragische Ergebnis unvorhersehbarer Naturereignisse war, ob er die Folge unverantwortlicher staatlicher Nachlässigkeit war oder ob es sich gar um einen Anschlag der algerischen FLN im Kampf gegen die Kolonialherren handelte. Alle drei Vermutungen könnten erklären, warum bis heute die wahren Ursachen des Dramas im Dunkeln liegen, die Verantwortlichen nicht ermittelt werden konnten und es deshalb auch keine strafrechtlichen Konsequenzen gab.

Die Autorin versteht es geschickt, neben dem unvermeidlichen Lokalkolorit, das savoir-vivre in südfranzösischer Ausprägung, dem Leser jeweils eine der Theorien plausibel zu machen. Die eigentliche Spannung für den Leser liegt darin, dass er bis zum Schluss zwischen diesen Theorien hin- und hergerissen ist  und deshalb ungeduldig der Auflösung entgegenfiebert.

Auch hier kein Spoiler, nur soviel soll verraten werden: Der Krimi endet mit der Andeutung, dass das möglicherweise Kommissar Duvals letzter Fall war. DAS wäre allerdings schade.