... war eher eine Diagonale rechts des Rheins.
Mittwoch, 14. Dezember 2022
Das Zitat des Jahres...
... vom Idioten des Jahres, der seinen Verstand offensichtlich an ein arabisches Fürstentum verkauft hat:
Sonntag, 4. Dezember 2022
Michel Houellebecq: Vernichten
Ein Gesellschaftsroman in der Tradition von Balzac und Zola
Der Roman beginnt mit einer rätselhaften, global agierenden Internet-Verschwörung und endet bei einer Kleinfamilie in der französischen Provinz. Was der großen Welt möglicherweise an Unheil droht, ist hier und jetzt unbedeutend geworden (und spielt im Roman auch keine Rolle mehr). In schnörkellosem, manchmal fast banalem Erzählstil führt uns der Autor vom Zentrum der politischen Macht im Pariser Wirtschaftsministerium in die bürgerlich-konservative französische Provinz. Wir lernen ganz nebenbei, wie die Regeln der Macht in Frankreich von oben nach unten funktionieren und wie sehr der Zentralstaat das Leben noch in der fernsten Provinz steuern kann. Dabei erweist sich Houellebecq nebenbei als Vertreter strikt nationalstaatlicher Interessen. Er weiß wovon er spricht, schließlich ist er befreundet mit dem französischen Wirtschaftsminister Bruno Le Maire.
Was mich im Roman wenig überraschte: Überall herrschen die “Enarchen”, die Absolventen der französischen “Grand Ecoles”.
Die Gegenfigur zum bürgerlichem Milieu des Protagonisten spielt seine Schwägerin Indy, eine linke Journalistin, der er durchaus unehrenhafte Motive bei einer künstlichen Befruchtung unterstellt:
...was hatte sie bloß geritten, als sie sich aus der riesigen Erzeugerkartei, die ihr das kalifornische Biotech-Unternehmen, dessen Dienste sie in Anspruch genommen hatte, zur Verfügung gestellt haben musste, einen schwarzen Erzeuger ausgesucht hatte? Wahrscheinlich der Wunsch, ihre geistige Unabhängigkeit zu demonstrieren, ihren Nonkonformismus und bei der Gelegenheit auch gleich noch ihren Antirassismus. Sie hatte ihr Kind als eine Art Werbeplakat benutzt, als ein Hilfsmittel, um das Bild zur Schau zu stellen, das sie nach außen hin abgeben wollte - warmherzig, offen, kosmopolitisch -, obwohl er wusste, dass sie eine ziemliche Egoistin und vor allem in höchstem Maße angepasst war.
Überhaupt durchzieht den Roman zweifellos eine stramm konservative Note. Die Geschichte mit Indy geht auch deshalb nicht gut aus.
Trotz dieser plakativen Figur ist das neue Werk von Michel Houellebecq keine denunziatorische Sozialstudie, sondern ein Roman des zärtlichen Abschieds und der Trauer. Ich konnte kaum glauben, dass der Autor des Romans und der Provokateur Michel Houellebecq ein und dieselbe Person sind.
An manchen Stellen hat mich der Roman auch persönlich betroffen gemacht. Seine Darstellung des diagnostischen Aufwandes bei der Diagnose "Krebs" erinnerte mich an meine eigene Krebsgeschichte und hat manch schrecklichen Moment wach werden lassen.
Julia Encke hat eine ausführliche Rezension in der FAZ vom 9.1.22 veröffentlicht, in der erstaunlicherweise nicht ein einziges Mal das Wort "Krebs" auftaucht!.
Im erwähnten Artikel von Julia Encke, die ich sehr schätze, heißt es zu Beginn „Ich“, schreibt Michel Houellebecq, „bin glücklicherweise gerade zu einer positiven Erkenntnis gelangt: für mich ist es Zeit aufzuhören.“
Im Original dagegen: „Ich bin glücklicherweise gerade zu einer positiven Erkenntnis gelangt; für mich ist es Zeit aufzuhören.“
Aus einem Semikolon wird ein Doppelpunkt. Ich finde, beide Satzzeichen sind nicht äquivalent.
Sollte dies wirklich sein letzter Roman gewesen sein? Ich hoffe, nicht.
NEUER HOUELLEBECQ-ROMAN
Wahlkampf am Abgrund
VON JULIA ENCKE-AKTUALISIERT AM 08.01.2022-16:25
https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/roman-vernichten-von-michel-houellebecq-17720107.html?premium (Bezahlschranke)
Rezensionsübersicht beim
Auch interessant: Page-99-Test: Michel Houellebecq
Die Analyse der Seite 99 von Michel Houellebecqs Roman “Vernichten” offenbart ein Übersetzungsproblem. Die Eleganz und Ironie des Originals gehen verloren, gerade weil die Übersetzung zu nah am Original bleibt. Das hat mit dem Zeitdruck zu tun, der bei der Übersetzung von Bestsellern zur Norm geworden ist.
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Freitag, 11. November 2022
Mittwoch, 9. November 2022
Annie Ernaux: Literarische Bedeutung (2001)
Ich habe mich bereits an anderer Stelle darüber mokiert, dass man im deutschen Feuilleton den Eindruck vermittelt, als ob Annie Ernaux eine aufsehenerregende Entdeckung der letzten 10 Jahre sei, obwohl die ersten deutschen Übersetzungen doch bereits in den 80er Jahren erschienen.
Mein Eindruck erhärtet sich durch eine Publikation deutscher Romanististinnen und Germanistinnen aus dem Jahr 2001, wo alles gesagt wurde, was man über Annie Ernaux wissen muss; und sogar ohne die Vokabel "Scham" zu strapazieren.
“Das Werk der 1940 in der Normandie geborenen Ernaux ist stark autobiographisch geprägt und kreist um Probleme des Identitätsverlustes und der Entfremdung. Ihre Eltern, die Arbeiter waren und ein Lebensmittelgeschäft mit Café unterhielten, ermöglichten ihr das Studium der Literaturwissenschaft in Paris. Ihre ersten drei Romane - Les armoires vides, 1974 [Die leeren Schränke], Ce qu'ils disent ou rien, 1977 [Was sie sagen oder nichts] und La femme gelée, 1981 [Die erstarrte Frau] - befassen sich mit der Schul- und Studienzeit, der Pubertät, den sexuellen Erfahrungen und der Ehe einer durch ihre soziale Herkunft gezeichneten Ich-Erzählerin. Sie vollziehen die Initiation einer Arbeitertochter in eine fremde und entfremdende Kultur nach, die ihr das Gefühl vermittelt, anders und minderwertig zu sein. Die Romane enthalten zwei gegenläufige Reflexionen über die Sprache. Zum einen geht es um die versuchte Selbstbefreiung aus dem Milieu durch Bildung, zum anderen wird die repressive Macht einer literarischen Wunderwelt entlarvt, die bürgerliche Lebensvorstellungen transportiert und die Ich-Erzählerin ihrer Entscheidungsfreiheit beraubt. Diese autobiographischen Bildungsromane enthalten neben der klassischen Aufstiegsgeschichte bereits die Kritik an der dominierenden Kultur und den Versuch, die verlorene Sprache des eigenen Milieus wiederzufinden.
Nach dieser Trilogie der Entfremdung sind die jeweils dem Vater und der Mutter gewidmeten Rückblicke La place, 1983 (Das bessere Leben, 1986) und Une femme, 1987 (Das Leben einer Frau, 1993) durch die Rekonstruktion bestimmter Gewohnheiten, Reaktionen und Redeweisen mosaikartige Annäherungen an die Herkunft und Lebensgeschichte der Eltern. Ernaux' gleichsam ethnologisches Anliegen ist es, das Private zu erfassen, die „Falle des Individuellen aber zu umgehen, indem sie die Lebensberichte als Teile eines kollektiven Schicksals verstehbar macht, worauf auch die Titel verweisen.”
Roswitha Böhm: Annie Ernaux. Von Glück und Entfremdung. In: Petra Metz/Dirk Naguschewski (Hrsg.), Französische Literatur der Gegenwart. Ein Autorenlexikon. Beck Verlag, München 2001, S.87
Biographische Notiz zu Roswitha Böhm: Siehe Wikipedia