Maria Barankow (Hg.), Christian Baron (Hg.) Klasse und Kampf. Claassen Verlag, Berlin 2021. ISBN 9783546100250
Gebunden, 224 Seiten, 20,00 EUR
Vierzehn sehr unterschiedliche Beiträge versammelt der Band aber die wenigsten problematisieren tatsächlich “Klasse und Kampf”. Viele davon sind eher deskriptiv und reportagehaft und erinnern an das, was ich in den 70er Jahren unter dem Titel “Literatur der Arbeitswelt” kannte und die es zu einer eigenen Reihe beim Fischer Taschenbuchverlag brachte.
Andere Autoren wiederum spielen lustvoll mit dem Genre oder den Erwartungen der Leser oder verweigern sich ganz.
Die meisten aber illustrieren das, was man allgemein als “Unterschicht” bezeichnen würde, was die Sache aber tatsächlich nicht trifft. Denn man muss nach der Lektüre feststellen, dass die Autoren, deren Familien und die Milieus, denen sie entstammen, wenig gemeinsam haben. Solidarität gibt es vor allem zur eigenen Familie. Selbst unten gibt es Abgrenzungen zwischen denen, die ganz unten sind und solchen, die zwar materiell prekär leben, aber nicht kulturell, die über “kulturelles Kapital” verfügen, aber denen es an Geld mangelt. “Wir waren reich an Bildung und arm an Einkommen”, bringt es Francis Seeck auf den Begriff und Ähnliches berichtet auch Sharon Dodua Otoo. Pinar Karabulut betont, “ich fühlte mich nicht zweitklassig” und ergänzt: “Meine Privilegien liegen nicht in einer kapitalistischen Ordnung. Meine Privilegien liegen darin, dass ich die große Chance hatte, für meine eigene Freiheit zu kämpfen.”
Zwischen diesen Autorinnen bestehen mehr Gemeinsamkeiten, als beispielsweise zwischen ihnen und Christian Baron oder Arno Frank. Mit Recht schreibt daher Sharon Dodua Otoo “Klasse verstellt den Blick auf mich. [...] Ich wurde als migrantische, erwerbslose alleinerziehende Mutter mit Kindern von unterschiedlichen Vätern stigmatisiert.”
Marlen Hobrack von der TAZ fällt auf: “Nicht nur in den Texten, auch in der Auswahl der Autor*innen ist eine seltsame Rollenverteilung zu verspüren – die Frauen sind identitätspolitisch (da haben wir’s wieder!) mehrfach verortet, sind Person of color, queer, alleinerziehend, ost- oder westdeutsch, mit Migrationshintergrund; die Männer sind – Männer.”
Marlen Hobrack von der TAZ fällt auf: “Nicht nur in den Texten, auch in der Auswahl der Autor*innen ist eine seltsame Rollenverteilung zu verspüren – die Frauen sind identitätspolitisch (da haben wir’s wieder!) mehrfach verortet, sind Person of color, queer, alleinerziehend, ost- oder westdeutsch, mit Migrationshintergrund; die Männer sind – Männer.”
Nicht alle Beiträge beschränken sich auf die autobiographische Nacherzählung von Armut und Ausschließung. Anke Stelling treibt ein amüsantes Spiel mit den Erwartungen der Leser hinsichtlich des Themas und Bov Bjerg berichtet nebenbei von einer kuriosen Missbrauchsgeschichte in seiner Kindheit.
Es gibt leider auch Schwächen. Lucy Fríckes Klagelied über den eigenen sozialen Aufstieg wird durch eine absurde Vorstellung vom Leben und Einkommen von Lehrern und Sozialpädagogen entwertet, die angeblich “noch immer derart unterirdisch bezahlt werden, dass sie kaum die Kraft haben können, genau hinzusehen”. Es bleibt auch völlig ungeklärt, wer eigentlich verantwortlich für das beschriebene Elend ist und welche Lösung es geben könnte, außer der Forderung nach Höherbezahlung von Lehrkräften.
Irritierend fand ich den Beitrag von Kübra Gümüşay (1988) Totenwaschung. Das ist ebenfalls eine Erzählung vom Rand der Gesellschaft, in diesem Fall vom türkischen Rand. Eine vielschichtige Familiengeschichte mit Einführung und Einblick in türkisch-muslimische Ethik und einem Geschwisterkonflikt um Lebensstile unterbreitet uns die Autorin. Dabei ist die Sympathie der Erzählerin für die konservative, gläubige Tradition, die ein Sohn des betrauerten Protagonisten praktiziert, unverkennbar.
(Keine Überraschung, wenn man den öffentlich ausgetragenen Streit um die Autorin kennt.)
Wirklich geärgert hat mich nur der Beitrag von Martin Becker "Sonnenbrand". Wenn ein geschätzter Schriftsteller wie Martin Becker, Jahrgang 1982, schreibt: “Ich habe einen Beruf, der mir qua Herkunft nicht zusteht”, dann frage ich mich schon, wie er auf so einen dummen Satz kommt. Gibt es in Deutschland Berufe, die jemand durch Geburt zustehen? Dann dürfte keiner der Autoren und keine der Autorinnen in diesem Buch jemals Schriftsteller geworden sein - und viele andere auch nicht. Vor allem nervt mich aber die durchgängige Larmoyanz, mit der er sein Schicksal und das seiner Familie als Mittelreihenhausbesitzer mit Opel Rekord oder Ford Escort vor der Tür beklagt, alles nach Erkrankung und Tod der Eltern verloren, so dass ihm nichts blieb, außer der Lust nach Zigaretten, “die meine Dynastie mir als Erbschaft hinterlassen hat”. Herr Becker sollte sich mal mit Christian Baron unterhalten über “Armut und Klasse”.
Wirklich geärgert hat mich nur der Beitrag von Martin Becker "Sonnenbrand". Wenn ein geschätzter Schriftsteller wie Martin Becker, Jahrgang 1982, schreibt: “Ich habe einen Beruf, der mir qua Herkunft nicht zusteht”, dann frage ich mich schon, wie er auf so einen dummen Satz kommt. Gibt es in Deutschland Berufe, die jemand durch Geburt zustehen? Dann dürfte keiner der Autoren und keine der Autorinnen in diesem Buch jemals Schriftsteller geworden sein - und viele andere auch nicht. Vor allem nervt mich aber die durchgängige Larmoyanz, mit der er sein Schicksal und das seiner Familie als Mittelreihenhausbesitzer mit Opel Rekord oder Ford Escort vor der Tür beklagt, alles nach Erkrankung und Tod der Eltern verloren, so dass ihm nichts blieb, außer der Lust nach Zigaretten, “die meine Dynastie mir als Erbschaft hinterlassen hat”. Herr Becker sollte sich mal mit Christian Baron unterhalten über “Armut und Klasse”.
Insgesamt lernen wir in diesem Sammelband ein weites Spektrum von Armut kennen, das bis in die akademische Schicht reicht. Statt Klasse und Kampf erfahren wir viel über die Vielschichtigkeit von Armut und Kampf in der heutigen Bundesrepublik. Und das ist zweifellos erkenntnisfördernd.
Rezensionen
Sammelband „Klasse und Kampf“: Raus aus der Fischfabrik
Welche Geschichten werden vom „Rand“ der Gesellschaft erzählt? Unter anderem Katja Oskamp, Clemens Meyer und Sharon Dodua Otoo schreiben über ihre prekäre Herkunft. Von Marlen Hobrack
“Klasse und Kampf”. Es gibt kein Entrinnen. Eine Rezension von Johannes Schneider.