Donnerstag, 20. September 2018

Balzac läßt grüßen


Francoise Sagan: Ein bisschen Sonne im kalten Wasser. Aus d. Franz. von Ilse Walther-Dulk u. Robert Weisert, 1970

Ein Roman, der in der französischen Provinz und im Paris von 1967 spielt, und im Stil von Balzac und Stendhal geschrieben wurde, aber weniger umfangreich ist als die klassischen Romane des 19.Jahrhunderts. 

Mächtig weht der der Geist der Zeit in dieser kleinen Liebesgeschichte, wo man in gewissen Kreisen Whisky vor, während und nach dem Theaterbesuch trinkt und sich Kollegen aus der Zeitungsredaktion mittags zum Essen im Restaurant verabreden. Man kauft und hört Schallplatten, abendliches Fernsehen gilt als Zeitvertreib der Ungebildeten und Bequemen und wird kaum verziehen. Lieber geht man in die Bar oder den Club und trinkt Whisky (siehe oben). Will man von der Provinz in die Hauptstadt telefonieren, muss man beim Postamt ein Gespräch anmelden und lange, lange warten! Und zu Hause ersetzt der Mann der Concierge die Glühbirnen in der Wohnung. Ach, Paris.

Noch ist nichts von den kommenden umstürzenden Ereignissen zu spüren, aber Francoise Sagan ahnt schon etwas. Der Roman ist aus der Sicht des Mannes geschrieben und das kommende Jahrhundert der Emanzipation deutet sich an: der Mann ist der wankelmütige, sich selbst bemitleidende Waschlappen, die Frau die emotional Stärkere in der Beziehung, auch wenn sie tragisch scheitert. Das ist dann doch noch die vergehende Epoche der Nachkriegszeit.

Die Übersetzung ist zeitgebunden etwas betulich, man findet zum Beispiel das hübsche Sprichwort vom Gast, der sich auf französisch verabschiedet. Wer kennt diese Redewendung heute noch? Im Internet kann man Nettes dazu finden, z.B. dass es Ähnliches im Französischen gibt, wo es aber heißt, "sich auf englisch zu verabschieden". (On y soit qui mal y pense.)
Noch eine Kuriosität am Rande: Im Buch fand ich ein langes braunes Haar, sicher von der letzten Leserin. 

Die 219 Seiten sind schnell gelesen und bereut habe ich die dafür aufgebrachte Zeit keineswegs.

Ich habe das Buch nicht gekauft, sondern in einem öffentlichen Bücherschrank in Bessungen gefunden (das Haar!), mitten zwischen den üblichen Scheußlichkeiten aus dem Bertelsmann Lesering-Angebot; hier:



Im Internet findet man auch noch Rezensionen der Erstübersetzung, aber Vorsicht: Spoileralarm!
DER SPIEGEL vom 23.6.1969: Klick 

P.S.: Im Roman von Francoise Sagan begegnet uns das Paris der 60er Jahre wieder, wir wir es in den legendären Reportagen von Georg Stefan Troller kennen lernen durften: Das 'Pariser Journal', das uns zum Beispiel durch Straßen wie die Rue Mouffetard führten, auf den Friedhof von Père-Lachaise oder ins jüdische Viertel in der Nähe der Place des Vosges: Alles sehr pittoresk und selbstverständlich in schwarz-weiß.
(Ich habe zu Georg Stefan Troller schon mal einen Blogeintrag verfasst: Sondtrack of my Life #1)