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Von Anonym - Czech Academy of Sciences, from Rozpravy Aventina, volume 4/1928-1929, issue 11, page 110., Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=950548 |
Irgendwie und irgendwo bin ich bei der Lektüre von Irène Némirovskys "Suite Francaise" auf Emmanuel Bove gestoßen. Zu meiner Überraschung gab es in Darmstadt sogar eine Ausstellung zu dem Schriftsteller, von dem ich noch nie gehört hatte. Aber leider, leider, just an dem Tag, als ich diese Information bekam, war die Ausstellung auch schon beendet.
Wer war Emmanuel Bove?
Emmanuel Bove ist ein weithin unbekannter Autor mit einer wirklichen Fangemeinde. 1898 geboren, veröffentlicht er von 1924 bis 1937 an die dreißig Romane und Erzählungen von 1924; dann eine seltsame Pause bis 1945 und danach gerät er auch in Frankreich praktisch in Vergessenheit. Emmanuel Bove war kein Mitglied der “Mandarins von Paris” - das erklärt wahrscheinlich alles.
Erst in den 80er Jahren wird er wieder entdeckt und in Deutschland durch Peter Handke übersetzt und bekannt gemacht; gegenwärtig ist seine Bekanntheit jedoch schon wieder am schwinden. Immerhin gibt es einen Berliner Verlag, der sich liebevoll um eine Werkausagbe von Bove kümmert und auch unbekanntere Bücher von ihm in deutscher Übersetzung - sogar als als Amazon Kindle Edition -zugänglich macht, Edition diá, und es gibt sogar eine eigene Webseite des Verlags, die sich dem Autor widmet!
Falle ( Le Piège)
Das Thema des Romans, französische Kollaboration und Vichy-Regierung, konnte zum Zeitpunkt des Erscheinens, 1945, unzeitgemäßer nicht sein. Spät bekannte sich Frankreich zu diesem dunklen Kapitel seiner Geschichte, erst seit Jacques Chiracs Rede am 16. Juli 1995 und jüngst wieder betont durch Emmanuel Macron wird es in der Öffentlichkeit diskutiert.
Joseph Bridet, der Protagonist der Handlung, ist ein Mann von bestürzender Naivität. Unbeholfen und naiv bewegt er sich in einer Gesellschaft von Opportunisten, Karrieristen, Kollaborateuren und Verrätern. Er ist aber alles andere als ein Held des Widerstands. Von der Vichy-Regierung will er in offizieller Mission in die französischen Kolonien geschickt werden, um sich, was sein eigentlicher Plan ist, heimlich dem Widerstand unter de Gaulle anzuschließen.
In einer kafkaesken Situation wird er nun von Behörde zu Behörde, von Sachbearbeiter zu Sachbearbeiter weitergeleitet und gerät mehr und mehr in die Mühlen der Vichy-Bürokratie. Immer neue Schwierigkeiten tun sich auf, aber alle Beteiligten sind sehr aufmerksam ihm gegenüber, immer signalisiert man ihm, dass es um eine bloße Formalität ginge und sich alles klären würde. Seine Situation wird jedoch immer bedrohlicher und die Versprechen auf Aufklärung sind immer weniger überzeugend. Selbst die Flucht nach Paris kann ihn nicht mehr retten. Am Schluss wird er auf Grund eines grotesken Irrtums als Geisel erschossen.
Bove zeigt ein schonungsloses Bild französischer Kollaborateure. So schwadronieren sie über die deutschen Besatzer :
“Allzu viele Leute hatten ein Interesse, sie uns als Barbaren auszumalen, die kleinen Kindern die Hände abschneiden."
“Die Juden und die Kommunisten”, sagte Bridet.- [...]
"Wir müssen uns mit den Deutschen verständigen. Ich sage es seit 1934. Persönlich waren sie mir immer sympathisch. Es sind jedenfalls Leute, die über außergewöhnliche Qualitäten verfügen.” (S.32f)
Der Roman erschien kurz vor dem Tod von Emmanuel Bove, und war kein großer Verkaufserfolg, anders noch wie seine Romane in der Vorkriegszeit. Man kann verstehen, dass 'Vichy und Kollaboration' nach dem gewonnenen Krieg nicht gerade begeistern konnte. Um so bemerkenswerter, dass Bove sich dem Thema stellte und die Anpassungsbereitschaft vieler seiner Landsleute schonungslos offen legte.
Links zum Buch
Ralf Konersmann: Nächste Ausfahrt Zwischenreich. Es ist, wie es ist: Weitere Sonderlinge von Emmanuel Bove FAZ 28.05.1996
http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/rezensionen/belletristik/rezension-belletristik-naechste-ausfahrt-zwischenreich-11303168.html
Martin Doerry: Held ohne Heldentum; DER SPIEGEL 24.06.1996
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-8940256.html
Volker Frick: Emmanuel Bove, Die Falle
http://www.buchkritik.at/kritik.asp?IDX=856
Christoph W. Bauer: Sidonie-Gabrielle Colette und Emmanuel Bove: Das Leben ist nicht literarisch
http://derstandard.at/2000026945604/Sidonie-Gabrielle-Colette-und-Emmanuel-Bove-Das-Leben-ist-nicht
Obwohl ich ein Faible für 'realistische’ Romane habe, d.h. Romane, die Auskunft geben über Menschen in ihrer Zeit, werde ich hier und da doch gefesselt von Romanen, die weniger soziologisch und mehr literarisch sind und sich ganz einem Individuum und seiner Gedankenwelt widmen. So wie es Emmanuel Bove in seinem Roman “Meine Freunde” mit der Person von Victor Bâton gelang:
Meine Freunde (Mes Amies)
Der Flaneur Victor Bâton hat nur ganz kleine Pläne, er will einen Freund und eine Mätresse haben, aber die Träume erfüllen sich nicht. Er träumt sich ein angenehmes Leben, aber auch das wird er nicht erleben.
Ein armer Teufel, dem seine Phantasien davonlaufen, Kriegsinvalide des 1.Weltkrieges, in abgetragener Kleidung, löchrigen Schuhen, mit verstümmelter Hand und hinkend, bewegt er sich voller Hoffnung und Selbstvertrauen in den Straßen von Paris, schnell in seinem Viertel und langsam in unbekanntem Revier, in Kaschemmen und zwielichtigen Etablissements.
"Ich setze mich auf einen Sessel [...] und denke an die Zukunft. WIe möchte ich glauben, daß ich eines Tages glücklich sein werde, daß eines Tages jemand mich liebhaben wird. Aber so lange schon warte ich auf die Zukunft!" (S.204). Vergeblich.
In nüchternen Hauptsätzen charakterisiert Bove seinen Helden, ganz ohne Psychologie: Der reine Tor, der sich immer selbst im Wege steht, und deshalb nie das Glück finden wird, selbst wenn es ihm auf dem Silbertablett serviert wird. Und der niemals einen Freund haben wird.
Ich habe noch weitere Romane von Emmanuel Bove gelesen:
Emmanuel Bove (Wikipedia)
Emmanuel Bove (Website der Edition diá)
(Geschrieben am Jahrestag des Deutsch-Französischen Élysée-Vertrags.)